Empfehlenswertes Kartenspiel: Cartaventura Vinland

Die Schachtel von Cartaventura: Vinland
Die Schachtel von Cartaventura: Vinland

Durch meine aktuellen Projekte (im Bereich Spieledesign: 25 Fantasy-Wikinger entwerfen, im Bereich Literatur: zwei Isländersagas übersetzen) bin ich derzeit stark auf die Wikingerzeit fokussiert. Deswegen hat mich Cartaventura Vinland sofort neugierig gemacht. Eine kleine Schachtel mit einem tollen Frostriesen, der aus dem Meer aufsteigt und sich einem Drachenschiff in den Weg stellt. „Auf ins Abenteuer“ ist das Motto der Cartaventura-Reihe, und „Ohne Regellesen direkt in die Geschichte eintauchen“ ist das Versprechen auf der Schachtelrückseite. Ein bisschen vollmundig, denn die erste Karte des Spiels schickt einen dann gleich mal zum Programmpunkt „Spielregeln lesen“. Das hätte man eleganter formulieren können 🙂

Aber der Einstieg ins Spiel gelingt wirklich in ein, zwei Minuten. Vorweg: Die Karten werden nicht auf die Spieler_innen aufgeteilt, um sie gegeneinander oder miteinander wieder abzulegen, die Karten sind vielmehr der Mechanismus, um eine Geschichte zu entwickeln. Hierbei ist die Cartaventura-Reihe viel näher an Deckscape, wo man einen Kriminalfall lösen muss, als beispielsweise an Jaipur, Sprawlopolis oder Skat. Wie in einer Visual Novel geht es hier nur darum, Entscheidungen zu treffen, die sich auf den weiteren Verlauf der Geschichte auswirken. Was mich bei Visual Novels tatsächlich so sehr stört, dass ich sie kaum spiele, ist die Idee des „schlechten Endes“ und des „richtigen Endes“ (auf die Spitze getrieben bei Dating Sims: entweder du heiratest deinen Schwarm, oder du stirbst bei einem Unfall. Bäm, zack, vorbei.) Das ist bei Cartaventura Vinland nicht so extrem. Es ist ein „Choose your own adventure“ auf Kartenbasis und somit auch allein spielbar. Nach oben sind der Spieleranzahl keine Grenzen gesetzt.

Einige Karten aus dem Spiel Cartaventura: Vinland
Einige Karten aus dem Spiel Cartaventura: Vinland

Was mir sehr gut gefallen hat, ist die (ich nenne es mal:) geografische Komponente von Vinland, bei der Karten aneinander angelegt werden, was durch ein Windrosensymbol gesteuert wird. Dadurch ergeben sich hübsche Szenarien auf dem Tisch, und der Aspekt des Reisens wird ästhetisch ansprechend veranschaulicht. Die Aquarell-Illustrationen sind künstlerisch und inhaltlich gelungen, das Grafikdesign ist klar und funktional, die Geschichte spielt sich ohne Interpretationswirrwarr sauber runter.

Eine Karte aus dem Spiel Cartaventura: Vinland
Eine Karte aus dem Spiel Cartaventura: Vinland

Viele Details sind unglaublich liebevoll umgesetzt, und es ist sogar ein Heftchen zum historischen Hintergrund beigefügt. Dabei lag der Fokus der Spielemacher ganz klar auf der Saga von Eirik dem Roten und der Saga von den Grönländern, und an diese literarische Vorlage haben sie sich eng gehalten. Beim Allgemeinwissen über die Wikingerzeit sind aber Lücken vorhanden und werden mit gängigen Rollenspieler-Klischees aufgefüllt (Wölfe, Taverne…) Für jemanden vom Fach total irritierend, wenn die Details mal so richtig in die Hose gehen, wie bei dem Weinhändler, der mit seinem Wagen an einer Straße im Island des 10. Jahrhunderts liegen geblieben ist. Dass Þingvellir einen Zugang zum Meer hat? Das sieht auf der Landkarte einfach zu hübsch aus, um sich daran zu stören. Trotzdem wäre es ein Leichtes gewesen, kurz bei der einen oder anderen Skandinavistik-Fakultät anzurufen und die Inhalte prüfen zu lassen. (Dann wäre aus dem „Logsogumath“ schnell ein „Lögsögumaðr“ geworden, und Nils hätte vielleicht Atli geheißen.) Das neue Berufsbild des Cultural Consultant hat seine Berechtigung.

Eine Karte aus dem Spiel Cartaventura: Vinland
Eine Karte aus dem Spiel Cartaventura: Vinland

Dem Spielfluss tut das aber keinen Abbruch, und die schönen Bilder helfen, die Geschichte lebendig werden zu lassen. Die nötigen Entscheidungen für den weiteren Verlauf der Story verursachen keine Analyse-Paralyse, nach einer Stunde hat man Vinland durchgespielt. Wiederspielwert bieten die unterschiedlichen Enden, und wenn man diese alle entdeckt hat, kann das Spiel einfach weitergegeben werden.

Cartaventura: Vinland
Empfohlen für
  • Geschichtenerzähler und -lauscher
  • Möchtegern-Abenteurer
  • alle, die froh sind dass sie nicht in einem offenen Boot über den Ozean fahren, aber trotzdem neugierig auf die Action sind
Nicht empfohlen für
  • Siegertypen
  • Punktesammler
  • Alleinentscheider (außer in der Solo-Variante)
  • erbsenzählende Historiker
  • Hardliner-Rollenspieler (zu wenige Entscheidungsmöglichkeiten, keine Stats, keine Würfel, keine Elfen und nur eine Taverne)
Dauert ca. 1 Stunde pro Spiel
Mehr Infos Website des Herstellers

In der Rubrik „Empfehlenswerte Spiele“ stelle ich ein Spiel vor, das mir Spaß gemacht hat. Wie bei allen meinen Empfehlungen gilt: Ich habe das Spiel selbst und auf meinen eigenen Antrieb hin gekauft und gespielt und erhalte für die Empfehlung keinerlei Geld, Gutscheine oder Waren. Ich schreibe auch keine Empfehlungen im Auftrag oder im Austausch gegen irgendwelche Vorteile. Wenn ich Bildmaterial vom Hersteller verwende, dann aus dem offiziellen Pressekit, ansonsten sind die Bilder Fotos aus meinen Partien.

Maike
Über Maike 31 Artikel
Schreibt, zeichnet, fotografiert und programmiert alles hier auf www.lanoki.de. Viele der Brett- und Computerspiele, die sie gerne spielen würde, gibt es noch nicht, deswegen designt sie sie selbst. Hat zwei tolle Ponys, die mit ihr durchs Feuer gehen (aber nicht über blaue Plastikplanen.)

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*